Paris-Brest-Paris 2015 vom 16.-20. August 2015

Hans-Hermann Wulff

Am 14. August fuhren wir mit dem Auto von Geesthacht zuerst nach Schaidt in der Pfalz. Hier blieben wir eine Nacht. Am nächsten morgen ging es an Straßburg vorbei auf gut befahrbaren Autobahnen Richtung Paris. Einzig die hohen Mautgebühren, für 510 km Autobahn fast 40 Euro, waren dann schon heftig.

Auch die Fahrt durch die Pariser Vororte ging sehr zügig. Um 14:00 Uhr erreichten wir unser IBIS Hotel. Fast etwas versteckt hinter einer Tankstelle. Da das Zimmer noch nicht fertig war, suchten wir nach einem Restaurant. Auf Empfehlung gingen wir in ein Lokal, was gleichzeitig  Kiosk, Bar und Restaurant unter chinesischer Führung war. Verständigung war nicht ganz einfach, aber irgendwann wurde uns ein Steak mit Pommes serviert. Der Hunger trieb es hinein.

Dann bezogen wir das Zimmer. Leider etwas klein und auch nicht gemütlich. Aber das Ereignis P-B-P stand im Vordergrund und nicht ein Urlaub als solches. Später suchten wir den besten Weg zum Veranstaltungsort, dem „Velodrom National“, der schnell nach nur 4 km zu erreichen war und sammelten erste Eindrücke. Es herrschte schon ein Gewusel der Fahrer vieler Nationalitäten.

Ich holte noch meine Startunterlagen ab und traf viele mir bekannte Randonneure. Zurück im Hotel waren auch Karl und Nina schon eingetroffen. Auch Peter Zinner aus Düsseldorf, Fahrer aus vielen Ländern und die gesamten österreichischen Fahrer waren im Hotel untergebracht. Etwas klönen, danach wurde das Bett aufgesucht.

Gefrühstückt haben wir im Hotel, es war ein übersichtliches Frühstück, eben französisch. Aber die Atmosphäre unter uns Randonneuren war fröhlich und entspannt.

Nach dem Frühstück fuhr ich mit dem Rad zum Velodrom um mein Rad durch die Sicherheitskontrolle zu bringen. Ich kaufte noch einen 25er Conti und montierte ihn.

Dann gingen wir ins Velodrom um unser vorbestelltes Essen einzunehmen. Es gab nicht nur das übliche Nudelpartygericht, sondern es war ein vielfältiges und sehr leckeres Essen in Form eines Buffets.

Die ersten Fahrer machten sich für den 16:00 Uhr startfertig. Mit Karl und Nina fuhren wir auf der Strecke 20 km raus, um dort die Fahrer nach dem Start zu beobachten und es dauerte nicht lange bis die Fahrer der schnellen Startgruppe heranrauschten. Es hatte wohl schon Stürze gegeben. Ein italienischer Fahrer stoppte. Sein Hinterrad war mit einer ausgehängten Speiche eigentlich nicht mehr fahrbar. Ich versuchte mein bestes, bekam die Speiche an seinem Systemlaufrad aber nicht mehr in Position. Wir rieten ihm zur Reparatur zurück zu fahren. Wäre die beste Lösung. Mit mehreren verbalen Madonnas setzte er die Fahrt trotzdem fort. So wird er  das Ziel  kaum erreichen. Hoffentlich hat er eine Lösung gefunden.

In Gegenrichtung der nun gestarteten Fahrer der 90 Stunden Gruppe rollten wir langsam wieder zum Start zurück. Wir erkannten einige der Fahrer und feuerten sie an. Auch die Gruppe der Liegeräder, Velomobile und der anderen außergewöhnlichen Räder war jetzt unterwegs. Es war eine ganz tolle Atmosphäre und großartige Stimmung. Viele Zuschauer säumten die Straßenränder. Wir fühlten uns großartig, bei dieser grandiosen Veranstaltung dabei sein zu dürfen.

Nun war es aber Zeit ins Hotel zu fahren um die letzten Vorbereitungen zu treffen. Am nächsten morgen  ging es für mich los. 3:00 Uhr aufstehen, um 5:00 Uhr war mein Start.

Zum Frühstück gab es Weißbrot mit reichlich selbstgemachter Erdbeermarmelade. Für die ersten 200 km schmierte Birgit Brote, 4 Bananen wanderten in die Trikottaschen. Ich bepackte mein Rad mit Lenker-und Sattelstützentasche und rollerte zum Start. Aus allen Richtungen kamen Fahrer. Vorderlichter und Warnwesten leuchteten. Es war die mir bekannte Atmosphäre. Ein Großereignis stand bevor. Ich fuhr zum Vorstart. Ein amerikanischer Fahrer zeigte auf meine Beine. Ich erstarrte, mein Transponder fehlte. Hektisch griff ich zum Handy, rief Birgit an. Er war vom Vortag noch in ihrer Handtasche. Da unser Hotel nur 4 km entfernt war und ich eine großartige Freundin habe, lief alles wie am Schnürchen. Keine 10 Minuten dauerte es und Birgit war mit dem Transponder  vor Ort. Der amerikanische Fahrer freute sich mit mir.

Ich möchte an dieser Stelle aber noch einmal die perfekte Organisation von P-B-P loben. Es war alles durchorganisiert. Die Helfer auch an diesem frühen morgen umsichtig, freundlich und hilfsbereit.

Nun wurden wir zum richtigen Start geführt. Man ließ sich fotografieren, machte eigene Bilder. Die Faszination des Langdistanzfahrens begann schon in diesem Moment. „Ich hatte da schon feuchte Augen“, erzählte mir später ein Freund.

Der Starter und wir zählten die letzten Sekunden gemeinsam runter und ab ging es in die Dunkelheit. Ich fuhr vorsichtig, aber in meiner Startgruppe wurde auch rücksichtsvoll gefahren. Vorweg ein Führungsfahrzeug. Die Strecke führte über den Place Georges Pompidou, durch Trappes und Elancourt. Kurz hinter Gambais scherte das vorweg fahrende Fahrzeug aus. Wichtig war, jetzt nicht gleich zu viele Kräfte zu vergeuden. Sich Gruppen zu suchen. Der Weg ist weit. In meinem Fall drei Tage und zwei Nächte. Daran darf man in diesem Moment nicht denken, dass würde den Kopf zu sehr belasten. Langdistanzfahren findet zu einem großen Teil zwischen den Ohren statt. Mentale Stabilität ist ein wichtiger Faktor.

Es rollte gut. In der Lenkertasche hatte ich ja meine Verpflegung. Brote und Pfälzer Hartwurst. In Montage-au-Perche füllte ich meine Flaschen auf und besuchte die Toilette.

Die erste Kontrollstelle war in Villanais-la-Juhel, die ich um 12:35 Uhr nach 220 km  mit einem Schnitt von 29 km/h erreichte. Schönes Tempo, aber der Durchschnitt geht stetig Richtung 20 km/h im Verlauf der Fahrt. Die Strecke, die Anstrengungen, die Müdigkeit fordern ihren Tribut.

In Villanais-la-Juhel nahm ich eine warme Mahlzeit ein. In aller Ruhe, ohne Hektik.

89 km waren jetzt bis Fougeres zu fahren. Fougeres war auf der 7. Etappe der Tour de France Zielort. Sieger dieser Etappe wurde Mark Cavendish hauchdünn vor André Greipel.

An den Straßen noch die Dekorationen der Tour de France, teilweise auch umgewandelt für uns P-B-P Fahrer. Später auch vor und hinter Loudeac, wo die 8. Etappe durchführte.  Für mich als bekennender Fan des Profiradsports natürlich ein zusätzliches Erlebnis. Toll auch der Blumenschmuck. Villes de Fleur, überall in Frankreich so ein kleiner Wettbewerb der mit 1,2,3 Sternen bewertet wird.

Da bis zur nächsten Konrolle nach Tinteniac nur 54 km zu fahren war ließ ich mir nur den Kontrollstempel geben und fuhr dann gleich weiter. Tinteniac erreichte ich um 18:51 Uhr.
Cafe, Kuchen, Flaschen wieder mit Wasser und Fanta gefüllt, dazu PowerBar Pulver. Meine mitgeführten Essensvorräte waren noch nicht ganz aufgebraucht. Aber ich hatte auch je 10 PowerBar Riegel und Gele dabei . Ein Hungerast war nicht zu befürchten. Auf den nächsten 85 km nach Loudeac bekam ich dann aber leichte Krämpfe, die ich aber mit Dehnen auf dem Rad wieder beseitigen konnte. Auch in den einzelnen Orten konnte man sich immer wieder an Ständen am Straßenrad verpflegen. Die Unterstützung der Bevölkerung an der Strecke ist einfach bewundernswert. Einmal standen Kinder am Straßenrand zum abklatschen bereit. Natürlich beteiligt man sich an diesem Spaß. Wie auch immer, plötzlich hatte ich einen Keks in der Hand. Diese Anteilnahme der Bevölkerung hilft auch von den Anstrengungen etwas abzulenken. Ein großes Dankeschön dafür.

Loudeac war nach 449 km erreicht. Es war 23:11 Uhr. In aller Ruhe eine kleine warme Mahlzeit eingenommen. Flaschen aufgefüllt und weiter ging es. Die nächste Kontrolle in Carhaix nach 526 km war mein Ziel. Jetzt begann die erste lange Nacht so richtig. Es wurde kalt. Um 3:33 Uhr kam ich in Carhaix an. Ich brauchte warme Getränke und ein kalorienreiches Essen. Nach dem Essen legte ich den Kopf auf dem Tisch und schlief eine halbe Stunde. Überall lagen schlafende Fahrer, in Rettungsdecken eingehüllt, oder irgendwo zusammen gesunken. Nachdem ich wieder aufgewacht war fror ich erbärmlich. Ich zog alles an was ich dabei hatte. Aber ich hatte auch Glück. Gleich nach der Weiterfahrt traf ich auf eine Gruppe, in der ich viele Fahrer kannte. Man fühlt sich dann irgendwie geborgener. Wir kamen auch gut voran. Die großen Hügel vor Brest mit dem Roc Trevezel waren zu überwinden. Schon auf dem Rückweg, weil am Sonntag  Abend gestartet, entdeckte ich in einer Gruppe meinen Radfreund Lars. Ich hatte den Eindruck die Kilometer vor Brest wollten kein Ende nehmen. Es zog sich bis man die Brücke vor Brest sehen konnte. Es war 9:00 Uhr, und ein wunderschöner Morgen zeigte sich. Bis zur Kontrolle war es dann doch noch ein langer Weg nach 614 km. Ich brauchte jetzt aber auch etwas Pause. Mein stetiges Leiden, der Rücken, machte sich bemerkbar. Bis ins Ziel nach Paris waren leichte Schmerzen und Verspannungen mein Begleiter. Diese Rückenprobleme verderben mir oft den Spaß. Ich stellte mein Rad ab, machte Dehnübungen und bewegte mich zu Fuß. Hier traf ich dann auch meinen Radfreund Claus. Er war am Sonntagabend gestartet und war im Begriff nach Paris zurück zu fahren. Es ist mir immer wieder eine Ehre Claus zu treffen. Wir Randonneure in Deutschland haben Claus so viel zu verdanken. Wir wünschten uns beiden alles Gute auf unserem Weg. Auch ich wollte wieder aufs Rad.  Also das Rad umdrehen und  auch wieder Richtung Paris. Wieder über den Roc Trevezel. Immer musste ich kurz vom Rad weil mein Rücken schmerzte. Ich biss auf die Zähne. Aber ich hatte nette Mitfahrer, man unterhielt sich und so kam ich dann doch wieder über Carhaix nach Loudac. Zwischen Carhaix, Loudac und Tinteniac war ich mit einer harmonisch, zügig fahrenden Gruppe unterwegs. Wir lösten uns ab und feuerten uns gegenseitig an. Es war eine gemischte Gruppe vieler Nationalitäten. Ein Sprachenmix, aber irgendwie kommt man immer ins Gespräch, und wir hatten ja alle ein gemeinsames Ziel. Gesund und munter Paris zu erreichen.

In Tinteniac angekommen merkte ich aber wie meine Kräfte nachließen, ich hundemüde wurde und die Verspannungen im Rückenbereich schon keine richtige gerade Fahrlinie mehr zuließen. Trotzdem fuhr ich nach kurzer Nahrungsaufnahme und Flaschen auffüllen weiter. Es waren ja nur 54 km bis Fougeres. Es wurden 54 quälende endlose Kilometer, der Rücken, ich sah zeitweise doppelt, schlidderte kurz in einem Graben. Zugegeben es war auch gefährlich. Endlich nach 919 km gefahrener Strecke kam ich um 3:06 Uhr in Fougeres an. Ich wollte nur noch eins.  Runter vom Rad und schlafen. Nette Helfer wiesen mir eine Matratze in einer Turnhalle zu. Ohrenstöpsel rein, hinlegen und weg war ich. Ich hatte gebeten mich nach 90 Minuten wieder zu wecken. Klappte alles wunderbar. Ich musste mich erst einmal orientieren, wo ich überhaupt war. Ungelogen, dachte ich wäre zu Hause und meine Freundin hätte mich geweckt. Das Gesicht des Helfers war etwas irritiert, nachdem ich ihn mit Birgit ansprach.

Aber irgendwann machte es klick. Ich war in Fougeres, umgeben von schnarchenden Mitfahrern, bei P-B-P und hatte noch 311 km zu fahren. Wieder in der Realität zurück kontaktierte ich das Medical Center, schilderte meine Rückenprobleme und bat um eine Massage. Kein Problem, Trikot hoch und rauf auf die Liege. Tat schon gut, aber hat wohl mehr für den Kopf geholfen. Jetzt noch eine richtig große warme Mahlzeit. So morgens um 5:00 Uhr sicher auch nicht jedermanns Sache. Aber es musste sein, denn ich wollte jetzt bis Paris durchfahren. Ich versuchte wegen der Rückenprobleme eine bessere Position auf dem Rad zu finden. Drückte mit der linken Hand stärker auf den Lenker. Irgendwie ging es besser.

Dadurch wurde aber die linke Hand etwas zu stark belastet. Jetzt fast 4 Wochen später ist mit der Hand noch immer nicht alles gut koordinierbar. Aber es bessert sich langsam. Allgemeine Randonneursleiden. Aber ich kam voran, obwohl es schon bergig wurde. Ich fuhr mit mir bekannten Radfreunden ein Stück gemeinsam. Wir wurden von der Bevölkerung an der Strecke versorgt und angefeuert. Außerdem war es ein schöner sonniger Tag. Mit jedem Tritt kamen wir dem Ziel näher. Natürlich rechnet man sich im Kopf auch die Zeit aus die man fahren könnte. Die Kontrolle in Villa-la-Juhel nach 1008 km, weiter nach Montagne-au-Perge.1089 km. Diese Kontrolle hat eine harte Besonderheit. Die letzten 200 m geht es so mit ca. 10 % richtig bergauf. Jetzt tut jeder kleine Hügel weh. Hier war wieder eine warme Mahlzeit fällig, Flaschen füllen und natürlich Kaffee.

Nach Montagne-au-Perge wird es nochmal richtig hart auf teilweise schlechten Straßen. Serpentinenartig. Aber ich hatte einen sehr netten deutschen Randonneur als Mitfahrer. Wir unterhielten uns, schwatzten über frühere Touren. Ein Engländer schloss sich uns an. Wir litten fröhlich gemeinsam. Auf sehr rauen Straßen, jetzt zunehmend flacher kamen wir nach Dreux um 18:42 Uhr, nach 1166 km. Ich stempelte meine Kontrollkarte, füllte mal wieder meine Flaschen auf und weiter gings. Ich wollte jetzt schnell nach Paris, ins Ziel.

Dann bekam ich doch noch einen mentalen Hänger auf diesem etwas trostlosen Abschnitt. Auch das überwand ich. Man erreicht dann ein Waldgebiet mit steilen Abschnitten aber auch schönen Abfahrten. Kurz vor der Einfahrt ins äußere Pariser Stadtrandgebiet hatten die Organisatoren noch eine Kontrollstelle eingerichtet. Die Beleuchtung musste funktionstüchtig sein und die Warnweste übergezogen sein. Richtig so. Was dann so mental passiert, habe ich schon des Öfteren erlebt. Man ist dem Ziel sehr nahe und plötzlich spürt man wieder die Kraft, es geht alles wieder einfacher. Die innere Befriedigung macht die Kräfte wieder frei. Der Veranstalter hatte auch bei der Streckenführung zum Ziel eine gute Strecke ausgesucht. Ohne störenden Verkehr fuhren wir zum Velodrom ins Ziel.

Um 21:49 Uhr, nach 64 Stunden und 50 Minuten. 67 Stunden hatte ich mir zum Ziel gesetzt.
Meine liebe Freundin erwartete mich im Ziel. Danke Birgit. Ich habe es schon des Öfteren geschrieben. Du brauchst eine verständige Partnerin, wenn du manchmal so durchgeknallt bist. Man kann gut Radfahren, mental stark sein, aber so ein lieber Mensch ist Teil deiner Leistung.

PBP 2015 - hhWulfIch gab meinen Transponder und das Routenbuch ab. Bedankte mich bei den Helfern.
P-B-B 2015 war hart, aber ein unvergessliches Erlebnis. Ehrlicherweise muss ich auch eingestehen, das Alter fordert seinen Tribut. Ich erkenne das an und kann damit umgehen. Aber wenn man mit meinen 67 Jahren noch zu so einer Leistung fähig ist, sollte man nur noch dankbar sein. Demütig und dankbar.

Es soll nach all den Jahren der Abschluss meiner Super Brevet Fahrerei sein. Das habe ich beschlossen. Mein Umfeld nimmt das mit schmunzeln und HAHA zur Kenntnis. Ich denke, das war es jetzt aber. Ob ich es durchhalte? Ich werde alles vermissen, die ganzen grandiosen Fahrten. Die außergewöhnlichen Menschen die ich kennenlernen durfte. Ein Teil dieser Szene zu sein. Aber so eine kleine Tour wird wohl noch möglich sein. Nur so zum Abgewöhnen.